Energiesteuergesetz: Ausgleich von Wärmeverlusten

Energieerzeugnisse, die zum Ausgleich von Wärmeverlusten in einem Fernwärmenetz verheizt werden, sind auch dann nach § 54 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG begünstigungsfähig, wenn der Betreiber des Fernwärmenetzes Wärme von anderen Unternehmen abnimmt und er für den Ausgleich der nach dem Übergabepunkt eintretenden Wärmeverluste verantwortlich ist (BFH, Urteil v. 28.02.2023 – VII R 27/20; veröffentlicht am 06.07.2023).

Hintergrund: Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG wird eine Steuerentlastung auf Antrag gewährt für Energieerzeugnisse, die nachweislich nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 3 bis 5 versteuert worden sind und von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i. S. des § 2 Nr. 3 StromStG oder von einem Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft i. S. des § 2 Nr. 5 StromStG zu betrieblichen Zwecken verheizt oder in begünstigten Anlagen nach § 3 EnergieStG verwendet worden sind. Nach § 1a Satz 1 Nr. 12 EnergieStG ist Verheizen das Verbrennen von Energieerzeugnissen zur Erzeugung von Wärme. Entlastungsberechtigt ist derjenige, der die Energieerzeugnisse verwendet hat (§ 54 Abs. 4 EnergieStG). Der Entlastungsanspruch nach § 54 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG erfasst nach der Rechtsprechung des BFH bei Energieversorgungsunternehmen auch die Energieerzeugnisse, die zum Ausgleich unvermeidbarer Wärmeverluste eingesetzt wurden (BFH, Urteil v. 08.11.2016 – VII R 6/16, NV; dem folgend FG Düsseldorf, Urteil v. 27.11.2019 – 4 K 2921/18 VE).

Verfahrensrecht: Anwendung neuer BFH-Entscheidungen

Das BMF hat eine Liste der allgemein anzuwendenden BFH-Entscheidungen veröffentlicht (Stand: 04.07.2023).

Die folgenden Entscheidungen werden in Kürze im BStBl Teil II veröffentlicht. Damit werden die Finanzbehörden die Entscheidungen allgemein anwenden.

 

Quelle: BMF online (il)

Umwandlungssteuerrecht: Sachlicher Anwendungsbereich

Das Verlustverrechnungsverbot bei steuerlicher Rückwirkung einer Umwandlung (§ 2 Abs. 4 Satz 3 UmwStG) ist auch in Einbringungsfällen anzuwenden, in denen eine steuergestalterische Missbrauchsabsicht nicht vorliegt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind nicht begründet. Die Regelung gilt auch für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer (BFH, Urteil v. 12.04.2023 – I R 48/20; veröffentlicht am 06.07.2023).

Körperschaftsteuer: Aussetzung der Vollziehung

War dem Gesetzgeber hier aufgrund des zu § 8c (später: Abs. 1) Satz 1 KStG a.F. ergangenen BVerfG-Beschlusses v. 29.03.2017 2 BvL 6/11 (BStBl II 2017, 1082) und dessen möglicher Ausstrahlungswirkung auf § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG/§ 8c (später: Abs. 1) Satz 2 KStG a.F. ohne weiteres gewiss, dass als Reaktionsmöglichkeit auf fortbestehende Verfassungszweifel eine generelle Neuausrichtung des Tatbestands des § 8c KStG im Raum stand, muss die Interessenabwägung zugunsten des wegen der Anwendung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG eine AdV beantragenden Betroffenen ausfallen, auch wenn das BVerfG § 8c (später: Abs. 1) Satz 1 KStG a.F. als „ähnliche Norm“ nicht für nichtig erklärt, sondern dem Gesetzgeber „lediglich“ aufgegeben hat, den Verfassungsverstoß bis zum 31.12.2018 rückwirkend mit Geltung ab dem 1.1.2008 (dem Inkrafttretenszeitpunkt der Regelung) zu beseitigen (BFH, Beschluss v. 12.04.2023 – I B 74/22 (AdV); veröffentlicht am 06.07.2023).

Hintergrund: Nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste vollständig nicht mehr abziehbar, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt.

Gesetzgebung: Entwurf für ein Wachstumschancengesetz

Das BMF hat am 17.07.2023 den Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“ (Wachstumschancengesetz) veröffentlicht.

Ziel ist es, die Liquiditätssituation von Unternehmen zu verbessern sowie Impulse für Investitionen zu setzen. Daneben soll das Steuersystem an zentralen Stellen vereinfacht werden. Durch die Anhebung von Schwellenwerten und Pauschalen sollen vor allem kleine Betriebe von Bürokratie entlastet werden.

Ebenfalls sollen Maßnahmen umgesetzt werden, die dazu beitragen, unerwünschte Steuergestaltungen aufzudecken und abzustellen.

Hervorzuheben sind insbesondere die folgenden Maßnahmen:

  • Einführung einer Investitionsprämie zur Beförderung der Transformation der Wirtschaft in Richtung insbesondere von mehr Klimaschutz,
  • Stärkung der steuerlichen Forschungsförderung,
  • Verbesserung des steuerlichen Verlustabzugs,
  • Anhebung der GWG-Grenze auf 1.000 €,
  • mehr Liquidität bei KMU durch Verbesserungen bei den Sofortabschreibungen geringwertiger Wirtschaftsgüter, den Abschreibungsmöglichkeiten zu den Sammelposten und zur Sonderabschreibung nach § 7g EStG,
  • Reform der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) und
  • Steigerung der Attraktivität der Option zur Körperschaftsbesteuerung nach § 1a KStG.

Das Steuersystem soll weiter vereinfacht werden, u. a. durch

  • Vereinfachung des Meldeverfahrens für Kassen,
  • Erhöhung der Nichtaufgriffsgrenze in § 20 Abs 7 ErbStG von 600 € auf 5.000 €,
  • Beseitigung der Schriftformerfordernis an verschiedenen Stellen des Riester-Verfahrens durch Ermöglichung der elektronischen Datenübermittlung,
  • Anhebung der Grenzen für die Buchführungspflicht bestimmter Steuerpflichtiger      (§ 141 AO) sowie der Aufbewahrungspflicht bei Überschusseinkünften (§ 147a AO),
  • Anhebung der Grenze für die umsatzsteuerliche Ist-Besteuerung (Möglichkeit der Berechnung der Steuer nach vereinnahmten statt vereinbarten Entgelten) nach § 20 Satz 1 Nr. 1 UStG von 600.000 € auf 800.000 €,
  • Anhebung der Freigrenze i. S. des § 23 Absatz 3 Satz 5 EStG von aktuell 600 € auf 1.000 €,
  • Vereinfachung der Berechnung der Lohnsteuer im Zusammenhang mit tarifermäßigt zu besteuerndem Arbeitslohn,
  • Befreiung von Kleinunternehmern von umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten,
  • Erhöhung der Freigrenze für den Quellensteuereinbehalt (§ 50c Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG),
  • Vorantreiben der Digitalisierung des Spendenverfahrens durch Anpassung des Zuwendungsempfängerregisters,
  • Einführung einer Freigrenze für Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie
  • Erhöhung des Schwellenwerts zur Befreiung von der Abgabe von vierteljährlichen USt-Voranmeldungen von 1.000 € auf 2.000 €.

Das Steuerrecht soll u. a. durch folgende Maßnahmen modernisiert werden:

  • Anpassung der Besteuerung von Renten aus der Basisversorgung,
  • Anpassung der AO und andere Steuergesetze an das MoPeG,
  • Erweiterung der Vereinfachungsregelung zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers.

Die Steuerfairness soll gefördert werden, indem u. a.

  • die Pflicht zur Mitteilung von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen auf nationale Steuergestaltungen ausgeweitet wird,
  • Steuergestaltungen bei Investmentfonds (Immobilienveräußerungsgewinne und Freistellung Vermietungseinkünfte ohne steuerliche Vorbelastung) verhindert werden,
  • eine gesetzliche Regelung zur verpflichtenden Verwendung von elektronischen Rechnungen eingeführt wird,
  • die Zinsschranke reformiert und
  • eine Zinshöhenschranke eingeführt wird.

Hinweis:

Das Vorhaben muss noch das weitere Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, die Zustimmung des Bundesrates ist erforderlich.

Gesetzgebung: Neuregelungen im August

Punktesystem bei der Fachkräfteeinwanderung, Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafen sowie Digitalisierungsnovelle im Baugesetzbuch. Über diese und weitere Neuregelungen im August informiert die Bundesregierung.

 

Fachkräftegewinnung

Punktesystem, Blaue Karte, ausreichend Berufserfahrung

Wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Ausland erworbenen und dort staatlich anerkannten Berufsabschluss hat, kann künftig als Fachkraft nach Deutschland kommen. Der Abschluss muss nicht mehr zuvor in Deutschland anerkannt werden. Das bedeutet weniger Bürokratie und damit kürzere Verfahren. Die Verdienstgrenze für die Blaue Karte wird abgesenkt. Neu eingeführt wird eine Chancenkarte mit einem Punktesystem.

 

Justiz

Ersatzfreiheitsstrafe wird halbiert

Wer eine Geldstrafe nicht zahlen kann oder will, muss dafür ersatzweise ins Gefängnis. Künftig wird die Dauer der sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe halbiert. Betroffene müssen zudem in Zukunft auf die Möglichkeit hingewiesen werden, dass sie alternativ zur Haft auch soziale Arbeit zugunsten der Allgemeinheit verrichten können.

 

Stiftungen

Mehr Rechtsklarheit bei privaten Stiftungen

Das Nebeneinander von Bundesrecht und Landesrecht hat Stiftungen bisher ihre Arbeit erschwert. Damit private Stiftungen sich in Zukunft besser auf ihre eigentlichen Zwecke konzentrieren können, ist das Stiftungszivilrecht von nun an bundesweit einheitlich und abschließend im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt.

 

Bauen

Bauleitpläne künftig online

Das Bauen wird beschleunigt. Mit der Digitalisierungsnovelle im Baugesetzbuch werden Bauleitpläne künftig online veröffentlicht und Genehmigungsverfahren vereinfacht. Weitere Änderungen im Baugesetzbuch erleichtern den Wiederaufbau nach Katastrophen und den Bau von Flüchtlingsunterkünften. Das Gesetz ist im Wesentlichen am 7. Juli in Kraft getreten.

 

Energie

Flüssiggas-Anbindungen schneller bauen

Am 1. Juni 2022 ist das LNG-Beschleunigungsgesetz in Kraft getreten. Nun wurden dazu einige Änderungen beschlossen, um die Einspeisung von verflüssigtem Gas an den deutschen Küstenstandorten weiter abzusichern. Dabei geht es um die Zulassung und beschleunigte Errichtung von Anbindungs- und Fernleitungen, damit das Flüssiggas abtransportiert werden kann. In engem Austausch mit der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern wurde auch der Hafen Mukran auf Rügen als LNG-Standort in das Gesetz aufgenommen.

 

Umwelt

Recycling erhöhen, Boden schützen

Bau- und Abbruchabfälle sind mit etwa 240 Millionen Tonnen die mit Abstand größte jährlich entstehende Abfallmenge in Deutschland. Mehrere aufeinander abgestimmte Verordnungen zielen ab dem 1. August 2023 darauf, möglichst große Mengen dieser Abfälle zu recyceln und Boden und Grundwasser nachhaltig zu sichern.

 

Gesundheit

Lieferengpässe bei Arzneimitteln

Ob wichtige Krebsmedikamente oder Fiebersäfte für Kinder – in der Vergangenheit gab es Lieferengpässe bei manchen Medikamenten. Ein neues Gesetz sorgt nun für eine bessere Arzneimittelversorgung: Die Preisregeln für Kinderarzneimittel werden gelockert. Bei Antibiotika kommen europäische Produzenten stärker zum Zug.

 

Aromen in Tabakerhitzern verboten – Warnhinweise nun vorgeschrieben

Charakteristische Aromen und Aromastoffe sind nun auch in Tabakerhitzern verboten. Bislang galt das Verbot nur für Zigaretten und Tabak zum Selberdrehen. Hersteller von erhitzten Tabakerzeugnissen müssen nun auch Text-Bild-Warnhinweise und so genannte Informationsbotschaften auf den Verpackungen anbringen.

 

Arbeit

Weiterbildung während der Kurzarbeit wird gefördert

Beginnen Beschäftigte während der Kurzarbeit eine berufliche Weiterbildung, können Arbeitgeber weiterhin Zuschüsse zu den Lehrgangskosten erhalten. Die Förderregelung wurde bis 31. Juli 2024 verlängert. Zudem können Sozialversicherungsbeiträge in dieser Zeit zur Hälfte erstattet werden.

Auskunft über Personal in Finanzämtern und Betriebsprüfungen

Die Bundesregierung gibt in einer Antwort (BT-Drucks. 20/7292) auf eine Kleine Anfrage (BT-Drucks. 20/7109) der Fraktion Die Linke Auskunft über den Personalbestand in Finanzbehörden.

Hierzu wird u.a. weiter ausgeführt:

  • Zum Stichtag 31.12.2022 waren in deutschen Finanzämtern 97.603,24 Vollzeitquäivalente beschäftigt, etwas mehr als ein Jahr zuvor (97.188,75). Das BZSt hat seinen Personalbestand in diesen Zeitraum von 1.906,1 auf 1.957,4 erhöht.
  • Die Zahl der nicht besetzten Planstellen hat sich im Jahr 2022 den Angaben zufolge in den Finanzämtern von 7.363,37 auf 6.956,11 verringert, beim BZSt von 349,9 auf 302,6.
  • Leicht verringert hat sich die Zahl der Betriebsprüfer. Die festgestellten Mehrsteuern aus Betriebsprüfungen sanken von insgesamt 13,1 im Jahr 2021 auf 10,8 Milliarden Euro 2022.

Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit

Überlässt der Insolvenz­verwalter gemäß § 170 Abs. 2 InsO dem abson­derungs­berech­tigten Gläubiger die der Masse zuge­hörigen sicherungs­über­eigneten beweg­lichen Wirtschafts­güter des Betriebs­vermö­gens zur Verwer­tung und entsteht nach­folgend durch deren Verkauf – infolge Aufdeckung von stillen Reserven – ein einkommen­steuer­pflichtiger Gewinn, ist die darauf entfallende Einkommen­steuer eine „in anderer Weise“ durch die Verwertung der Insolvenz­masse begründete Masse­verbind­lich­keit (BFH, Urteil v. 14.12.2022 – X R 9/20; veröffent­licht am 06.07.2023). Hintergrund: Masseverbindlich­keiten sind u. a. die Verbind­lichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenz­verwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenz­masse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenz­verfahrens zu gehören, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).

Energiesteuergesetz: Ausgleich von Wärmeverlusten

Energieerzeugnisse, die zum Ausgleich von Wärmeverlusten in einem Fernwärmenetz verheizt werden, sind auch dann nach § 54 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG begünstigungsfähig, wenn der Betreiber des Fernwärmenetzes Wärme von anderen Unternehmen abnimmt und er für den Ausgleich der nach dem Übergabepunkt eintretenden Wärmeverluste verantwortlich ist (BFH, Urteil v. 28.02.2023 – VII R 27/20; veröffentlicht am 06.07.2023).

Hintergrund: Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG wird eine Steuerentlastung auf Antrag gewährt für Energieerzeugnisse, die nachweislich nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 3 bis 5 versteuert worden sind und von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i. S. des § 2 Nr. 3 StromStG oder von einem Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft i. S. des § 2 Nr. 5 StromStG zu betrieblichen Zwecken verheizt oder in begünstigten Anlagen nach § 3 EnergieStG verwendet worden sind. Nach § 1a Satz 1 Nr. 12 EnergieStG ist Verheizen das Verbrennen von Energieerzeugnissen zur Erzeugung von Wärme. Entlastungsberechtigt ist derjenige, der die Energieerzeugnisse verwendet hat (§ 54 Abs. 4 EnergieStG). Der Entlastungsanspruch nach § 54 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG erfasst nach der Rechtsprechung des BFH bei Energieversorgungsunternehmen auch die Energieerzeugnisse, die zum Ausgleich unvermeidbarer Wärmeverluste eingesetzt wurden (BFH, Urteil v. 08.11.2016 – VII R 6/16, NV; dem folgend FG Düsseldorf, Urteil v. 27.11.2019 – 4 K 2921/18 VE).

Dieselgate: Schadensersatz wegen Abschalteinrichtung

Der BGH hat in Anschluss an den EuGH (EuGH, Urteil v. 21.03.2023 – C-100/21) „Mercedes-Benz Group“ entschieden, unter welchen Voraussetzungen Käufer von Dieselfahrzeugen in „Dieselverfahren“ den Ersatz eines Differenzschadens vom Fahrzeughersteller verlangen können (BGH, Urteile v. 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22).

Sachverhalte und bisheriger Prozessverlauf: In dem Verfahren VIa ZR 335/21 verlangt der Kläger von der beklagten Volkswagen AG Schadensersatz wegen eines von ihr hergestellten VW Passat Alltrack 2.0 l TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 288 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Der Kläger erwarb das im Juli 2016 erstmals zugelassene Fahrzeug am 15. November 2017 von einem Händler. Die Abgasrückführung erfolgt bei dem Fahrzeug in Abhängigkeit von der Temperatur (Thermofenster). Ferner ist eine Fahrkurvenerkennung installiert. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag und einen Finanzierungsvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung der Berufung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.

In dem Verfahren VIa ZR 335/21 verlangt der Kläger von der beklagten Volkswagen AG Schadensersatz wegen eines von ihr hergestellten VW Passat Alltrack 2.0 l TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 288 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Der Kläger erwarb das im Juli 2016 erstmals zugelassene Fahrzeug am 15. November 2017 von einem Händler. Die Abgasrückführung erfolgt bei dem Fahrzeug in Abhängigkeit von der Temperatur (Thermofenster). Ferner ist eine Fahrkurvenerkennung installiert. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag und einen Finanzierungsvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung der Berufung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.

In dem Verfahren VIa ZR 533/21 kaufte der Kläger im Mai 2018 von einem Vertragshändler der beklagten Audi AG einen Audi SQ5 Allroad 3.0 TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 896Gen2BiT ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hatte bereits vor Abschluss des Kaufvertrags bei einer Überprüfung des auch in das Fahrzeug des Klägers eingebauten Motors eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer sogenannten Aufheizstrategie festgestellt und durch Bescheid vom 1. Dezember 2017 nachträgliche Nebenbestimmungen für die der Beklagten erteilte EG-Typgenehmigung angeordnet. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag mit dem Vertragshändler und einen Finanzierungsvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Gegen die Zurückweisung der Berufung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine zweitinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.

In dem Verfahren VIa ZR 1031/22 kaufte der Kläger im Oktober 2017 von der beklagten Mercedes-Benz Group AG einen Mercedes-Benz C 220 d, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Die Abgasrückführung erfolgt bei dem Fahrzeug unter anderem temperaturgesteuert und wird beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert. Weiter verfügt das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, bei der die verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag und einen Finanzierungsvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat der Klage unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung des Klägers überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die auf das Recht der unerlaubten Handlung gestützte Klage und darüber hinaus das auf kaufrechtliche Ansprüche gestützte Begehren des Klägers abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht unter Verweis auf die Frage, ob die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung ein Schutzgesetz im Sinne von   § 823 Abs. 2 BGB sei, zugelassenen Revision möchte der Kläger, der nur noch deliktische Ansprüche geltend macht, die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

Der BGH hat auf die Revisionen der Kläger die Berufungsurteile in allen drei Verfahren – in der Sache VIa ZR 1031/22 allerdings nicht bezogen auf Ansprüche aus Kaufrecht, die nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens waren – aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Berufungsgerichte zurückverwiesen, damit die Berufungsgerichte eine Haftung der beklagten Fahrzeughersteller aus unerlaubter Handlung weiter aufklären:

Im Verfahren VIa ZR 335/21 hat der BGH bestätigt, dass die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen den Fahrzeughersteller nicht entgegengehalten werden kann.

Im Verfahren VIa ZR 533/21 hat der BGH die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer haftungsausschließenden Verhaltensänderung des Fahrzeugherstellers bekräftigt. Außerdem hat er – ausführlich begründet im Verfahren VIa ZR 335/21 – für eine Haftung der Fahrzeughersteller nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 21.03.2023 folgende Grundsätze aufgestellt:

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21 „Mercedes-Benz Group“ aus dem Gesamtzusammenhang des unionsrechtlichen Regelungsgefüges gefolgert, dass der Käufer beim Erwerb eines Kraftfahrzeugs, das zur Serie eines genehmigten Typs gehört und mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten kann, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und insbesondere deren Art. 5 eingehalten ist. Wird er in diesem Vertrauen enttäuscht, kann er von dem Fahrzeughersteller, der die Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat, Schadensersatz nach Maßgabe des nationalen Rechts verlangen.

Zu gewähren ist allerdings, wenn der Fahrzeughersteller den Käufer nicht sittenwidrig vorsätzlich geschädigt hat, in Übereinstimmung mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die zu ändern der BGH keine Veranlassung hat, nicht großer Schadensersatz. Der Käufer kann auf der Grundlage der § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV im Falle der Enttäuschung seines auf die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung gestützten Vertrauens – anders als bei einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch den Fahrzeughersteller und auf der Grundlage der §§ 826, 31 BGB – nicht verlangen, dass der Fahrzeughersteller das Fahrzeug übernimmt und den Kaufpreis abzüglich vom Käufer erlangter Vorteile erstattet. Ein solcher Anspruch, der im Kern nicht den Vermögensschaden, sondern die freie Willensentschließung des Käufers schützt, kommt nur bei einem im Sinne von §§ 826, 31 BGB arglistigen Verhalten des Fahrzeugherstellers in Betracht. Für § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass ein Schadensersatzanspruch nach dem maßgeblichen nationalen Recht eine Vermögensminderung durch die enttäuschte Vertrauensinvestition bei Abschluss des Kaufvertrags über das Kraftfahrzeug voraussetzt. Da der EuGH bei der Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs auf das nationale Recht verwiesen hat, konnte der BGH auf die allgemeinen Grundsätze des deutschen Schadensrechts zurückgreifen, die auch bei einem fahrlässigen Verstoß gegen das europäische Abgasrecht einen effektiven und verhältnismäßigen Schadensersatzanspruch gewähren.

Dabei hatte der BGH davon auszugehen, dass die jederzeitige Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs Geldwert hat. Deshalb erleidet der Käufer eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Unionsrechts versehen ist, stets einen Schaden, weil aufgrund einer drohenden Betriebsbeschränkung oder Betriebsuntersagung die Verfügbarkeit des Fahrzeugs in Frage steht. Zugunsten des Käufers greift der Erfahrungssatz, dass er im Falle der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung das Fahrzeug nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte.

Das Vorhandensein der Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 als solcher muss im Prozess der Käufer darlegen und beweisen, während die ausnahmsweise Zulässigkeit einer festgestellten Abschalteinrichtung aufgrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen muss.

Stellt der Tatrichter das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung fest, muss der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen, dass er bei der Ausgabe der Übereinstimmungsbescheinigung weder vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt hat, dass das Kraftfahrzeug den unionsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht. Beruft sich der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, gelten dafür die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätze. Kann sich der Fahrzeughersteller von jedem Verschulden entlasten, haftet er nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht. Das deutsche Recht der unerlaubten Handlung setzt für eine deliktische Haftung des Schädigers stets ein Verschulden voraus. Eine verschuldensunabhängige deliktische Haftung können deutsche Gerichte, die auch nach den Vorgaben des EuGH im Rahmen des geltenden nationalen Rechts zu entscheiden haben, nicht anordnen.

Der dem Käufer zu gewährende Schadensersatz muss nach den Vorgaben des EuGH einerseits eine effektive Sanktion für die Verletzung des Unionsrechts durch den Fahrzeughersteller darstellen. Andererseits muss der zu gewährende Schadensersatz – so die zweite Vorgabe des EuGH – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Dem einzelnen Käufer ist daher stets und ohne, dass das Vorhandensein eines Schadens als solches mittels eines Sachverständigengutachtens zu klären wäre oder durch ein Sachverständigengutachten in Frage gestellt werden könnte, ein Schadensersatz in Höhe von wenigstens 5% und höchstens 15% des gezahlten Kaufpreises zu gewähren. Innerhalb dieser Bandbreite obliegt die genaue Festlegung dem Tatrichter, der sein Schätzungsermessen ausüben kann, ohne sich vorher sachverständig beraten lassen zu müssen. Auf den vom Tatrichter geschätzten Betrag muss sich der Käufer Vorteile nach Maßgabe der Grundsätze anrechnen lassen, die der BGH für die Vorteilsausgleichung auf der Grundlage der Gewähr kleinen Schadensersatzes nach §§ 826, 31 BGB entwickelt hat.

Die Kläger werden in allen Verfahren Gelegenheit haben, ihre Anträge anzupassen, soweit sie einen Differenzschaden nach diesen Maßgaben geltend machen wollen. Die Parteien haben nach einer Zurückverweisung der Sachen Gelegenheit, zu den Voraussetzungen einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ergänzend vorzutragen.