Glaubhaftmachung einer beA-Störung

Mit einem Screenshot kann die technische Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) glaubhaft gemacht werden. Auf einen entsprechenden Beschluss des BGH v. 10.10.2023 – XI ZB 1/23 macht die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) aufmerksam.

Sachverhalt: In dem Verfahren rund um den Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags gingen am Tag des Fristablaufs für die Berufungsbegründung zwei Schriftsätze per Fax beim Gericht ein: Einmal eine Mitteilung nebst Screenshot, wonach bei der BRAK eine technische Störung vorlag und das beA nicht zur Verfügung stehe, man aber mit Hochdruck an der Störungsbeseitigung arbeite. Und zum anderen ein Antrag, im versicherten Einvernehmen der Gegenseite die Berufungsbegründungsfrist erneut zu verlängern. Beide Schriftsätze wurden zudem unaufgefordert am Tag nach Fristablauf noch einmal per beA an das Berufungsgericht übermittelt.

Dieses verwarf die Berufung jedoch als unzulässig wegen Verfristung. Die per Fax eingereichten Schriftsätze erfüllten nicht die Anforderungen an eine Ersatzeinreichung wegen vorübergehender technischer Unmöglichkeit. In § 130d Satz 3 ZPO steht: „Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen“. Hierfür hätte es eine anwaltliche Versicherung und nicht nur einen Screenshot nebst Erklärung gebraucht. Daraufhin hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Berufungsbegründung vorgelegt und mit weiterem Schriftsatz die Richtigkeit des per Fax geschilderten Sachverhalts anwaltlich versichert sowie vorsorglich die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Der BGH gewährte auf die Rechtsbeschwerde des Klägers die Wiedereinsetzung.

  • Der Fristverlängerungsantrag ist wirksam gestellt worden. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit, wenn es die anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung als zwingend erforderlich erachtet.
  • Für die Glaubhaftmachung der Störung reicht der vorgelegte Screenshot. Der Screenshot ist ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO. Er ist im vorliegenden Fall geeignet gewesen, die behauptete Störung glaubhaft zu machen. Denn sein Inhalt hat mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der BRAK sowie dem Meldungsarchiv des beA-Supports übereingestimmt.
  • Unter diesen Umständen kann es dahinstehen, ob das Berufungsgericht die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers geschilderte Störung angesichts der auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer verfügbaren Informationen als offenkundig (§ 291 ZPO) hätte behandeln können.

Körperschaft-/Gewerbesteuer: Organschaft – „finanzielle Eingliederung“

Im Fall der Verschmelzung einer Kapital- auf eine Personengesellschaft tritt der übernehmende Rechtsträger (Organträger) hinsichtlich des Merkmals der finanziellen Eingliederung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG) auch dann nach § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 3 UmwStG 2006 in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers ein, wenn der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag nicht auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird. Dies gilt auch für das Merkmal der Zuordnung der Beteiligung an der Organgesellschaft zu einer inländischen Betriebsstätte des Organträgers nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 KStG (Bestätigung und Fortentwicklung der BFH-Urteile v. 28.07.2010 – I R 89/09, BStBl II 2011, 528 und I R 111/09, sog. Fußstapfentheorie: BFH, Urteil v. 11.07.2023 – I R 21/20; veröffentlicht am 23.11.2023).

Bundesregierung beschließt Vierte Mindestlohnanpassungsverordnung

Die Bundesregierung hat am 15.11.2023 die vom BMAS vorgelegte Vierte Mindestlohnanpassungsverordnung beschlossen. Damit wird der gesetzliche Mindestlohn zum 01.01.2024 zunächst auf 12,41 € brutto je Zeitstunde angehoben und steigt in einem weiteren Schritt zum 01.01.2025 auf 12,82 € brutto je Zeitstunde.

Mit der Verordnung hat die Bundesregierung den Beschluss der Mindestlohnkommission vom 26.06.2023 rechtsverbindlich umgesetzt.

Die Vierte Mindestlohnanpassungsverordnung tritt zum 01.01.2024 in Kraft.

Quelle: BMAS, Pressemitteilung v. 15.11.2023

Haushaltsrecht: Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist nichtig

Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 2 und Art. 115 Abs. 2 GG unvereinbar und nichtig (BVerfG, Urteil v. 15.11.2023 – 2 BvF 1/22).

Sachverhalt: Die antragstellenden Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion wenden sich gegen die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021. Mit diesem sollte eine im Bundeshaushalt 2021 als Reaktion auf die Corona-Pandemie vorgesehene, jedoch im Haushaltsjahr 2021 nicht unmittelbar benötigte Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro durch eine Zuführung an den „Energie- und Klimafonds“ (EKF), ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes, für künftige Haushaltsjahre nutzbar gemacht werden. Die Zuführung erfolgte im Februar 2022 – also rückwirkend – für das abgeschlossene Haushaltsjahr 2021. Der EKF wurde zwischenzeitlich in „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) umbenannt.

Die Richter des BVerfG erklärten das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz für nichtig:

  • Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an notlagenbedingte Kreditaufnahmen.
  • Erstens hat der Gesetzgeber den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt.
  • Zweitens widerspricht die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die „Schuldenbremse“ bei gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig.
  • Drittens verstößt die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.

Hinweis:

Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren. Weitere Informationen zu der Entscheidung können Sie der Pressemitteilung des BVerfG v. 15.11.2023 entnehmen.

Klage im „cum/ex-Verfahren“ abgewiesen

Der 6. Senat des Finanzgerichts Hamburg hat am Donnerstag, dem 09.11.2013, in einem sog. cum/ex-Verfahren entschieden und die Klage abgewiesen (6 K 228/20). Die Revision wurde nicht zugelassen.

Es besteht aber die Möglichkeit der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH.

Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.

Quelle: FG Hamburg, Pressemitteilung v. 13.11.2023 (il)

Zahlungen des Arbeitnehmers für einen vom Arbeitgeber angemieteten Parkplatz

Zahlungen des Arbeitnehmers für einen vom Arbeitgeber angemieteten Parkplatz mindern den geldwerten Vorteil für die Dienstwagennutzung (FG Köln, Urteil v. 20.04.2023 – 1 K 1234/22; Revision anhängig, BFH-Az. VI R 7/23).

Pauschbeträge für Auslandsdienstreisen ab 01.01.2024 (BMF)

Das BMF hat die Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen und Übernachtungskosten für beruflich und betrieblich veranlasste Auslandsdienstreisen ab 01.01.2024 bekannt gemacht (BMF, Schreiben v. 21.11.2023 – Z IV C 5 – S 2353/19/10010 :005).

Hinweis:

Die Übersicht über die ab 01.01.2024 geltenden Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen und Übernachtungskosten im Ausland ist auf der Homepage des BMF veröffentlicht.

Fehlerhafte Einordnung der Zollbehörde: Zinsanspruch

Eine unzutreffende Auslegung des Zollkodexes durch die nationale Zollbehörde führt zu einer Verzinsung von daraus entstandenen Rückzahlungsansprüchen (Hessisches FG, Urteil v. 31.05.2023 – 7 K 998/20; Revision anhängig, BFH-Az. VII B 96/23).

Sachverhalt: Die Klägerin ist eine Firma, die Unterhaltungselektronik importiert und vertreibt. Für bestimmte Geräte setzte die beklagte Zollbehörde nach entsprechender Begutachtung Einfuhrabgaben fest. Diese mussten nach jahrelangen Streitigkeiten über die zutreffende rechtliche Beurteilung der Waren im Ergebnis zu Gunsten der Klägerin erstattet werden. Eine Verzinsung der erstatteten Beträge lehnte die beklagte Behörde ab.

Das Hessische FG hat dagegen entschieden, dass der Klägerin eine Verzinsung nach dem Recht der Europäischen Union zusteht:

  • Die Verzinsung von Erstattungsansprüchen ist im nationalen Recht in den §§ 233 ff. AO abschließend geregelt und ermöglicht neben nationalen Zinsregelungen auch eine Verzinsung von Erstattungsansprüchen nach dem Recht der EU.
  • Der EuGH gewährt in ständiger Rechtsprechung eine entsprechende Verzinsung bei einer fehlerhaften Umsetzung von Unionsrecht. Im Jahr 2022 ist diese Rechtsprechung auch auf jegliche Fehler in der Rechtsanwendung ausgeweitet worden.
  • Ein Anspruch auf „Zinseszinsen“ bzw. Verzugszinsen besteht dagegen nicht. Der unionsrechtliche Zinsanspruch fordert lediglich einen Ausgleich für das Vorenthalten des erstatteten Geldbetrages, nicht dagegen eine umfassende Verzinsung jeglicher Verzögerungen in der Abwicklung der Erstattungsansprüche.
  • Im Streitfall erstreckt sich der Zinsanspruch auf den Zeitraum der Entrichtung der Abgaben aufgrund der erstmaligen erhöhten Festsetzung bis zu deren Erstattung durch die beklagte Behörde, wobei sich die Höhe der Zinsen bzw. der Zinslauf nach nationalem Recht in Gestalt des § 238 Abgabenordnung bestimmt.

Hinweis:

Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, die beim BFH unter dem Az. VII B 96/23 anhängig ist.

Kindergeldantrag per beA (FG)

Kindergeld wird nicht von Amts wegen, sondern nach § 67 Satz 1 EStG nur auf Antrag gezahlt, wobei dieser Antrag schriftlich erfolgen muss. Dies verlangt eine – nicht zwingend eigenhändige – Unterschrift. Eine Übermittlung des Kindergeldantrags (ausschließlich) über das elektronische Anwaltspostfach (beA) ersetzt die Unterschrift nicht, so dass ein auf diesem Weg übermittelter Kindergeldantrag nicht wirksam gestellt ist (Hessisches FG, Urteil v. 20.04.2023 – 9 K 39/23; Revision anhängig, BFH-Az. III R 15/23).

Zeitnahe Stichtagsinventur bringt Vorteile für Betriebe

Zum Bi­lanz­stich­tag er­fas­sen Fir­men ih­re Be­stän­de. Sind Ab­lauf und Zeit­raum klar de­fi­niert, hat die zeit­nahe Stich­tags­in­ven­tur gro­ße Vor­tei­le. Die ein­fache Er­klä­rung: Sie lie­fert exakte Er­geb­nis­se und da­mit die so­li­de Ba­sis für ei­nen ord­nungs­ge­mä­ßen Ja­hres­ab­schluss.
Der Jahreswechsel rückt näher. Zahlreichen Betrieben steht also wieder das große Zählen, Messen oder Wiegen bevor. Denn der Zeitraum für die fällige zeitnahe Stichtagsinventur ist für Unternehmen genau festgelegt – meistens Ende Dezember oder Anfang Januar, zeitnah zum Bilanzstichtag, der bei vielen der 31. Dezember ist. Höchste Zeit also für die Planung. Wann genau die zeitnahe Stichtagsinventur beginnt und endet, entscheidet der Betrieb. Der Gesetzgeber gibt buchführungspflichtigen Unternehmen dafür eine Frist von maximal zehn Tagen. Klappt das Erfassen und Bewerten der Bestände nicht binnen eines Tages, ist eine ausgeweitete Stichtagsinventur zulässig. Sie dauert mehrere Tage. Oft schließen Händler in dieser Zeit ihr Geschäft, Betriebe stoppen die Produktion. Denn das Zählen, Messen oder Wiegen bindet viele Beschäftigte. Die zeitnahe Stichtagsinventur hat also nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile: Zeitdruck, hohe Kosten sowie Umsatzeinbußen. Bereiten Unternehmen die zeitnahe Stichtagsinventur aber gut vor, überwiegen die Vorteile – solange Ablauf, Personaleinsatz und Aufgabenverteilung sorgfältig geplant sind.