Europa: KI-Verordnung einstimmig gebilligt

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben am 02.02.2024 die Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (KI-Verordnung, AI Act) einstimmig gebilligt. Dies teilt das Bundesministerium der Justiz (BMJ) aktuell mit.

Hintergrund: Mit der KI-Verordnung setzt die EU den Rahmen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Europa. Sie zielt darauf ab, Innovationen zu fördern, gleichzeitig das Vertrauen in KI zu stärken und sicherzustellen, dass diese Technologie in einer Weise genutzt wird, die die Grundrechte und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger der EU respektiert. Die KI-Verordnung ist das weltweilt erste umfassende Regelwerk für KI.

Folgende Regelungen sind vorgesehen:

  • Es wird klargestellt, dass es sich bei der KI-Verordnung um eine Produktregulierung handelt, die sich nicht auf Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bezieht. Gleichzeitig schafft die Verordnung das Fundament für die Entwicklung anwendungsorientierter KI in Europa.
  • Social Scoring mithilfe Künstlicher Intelligenz und Emotionserkennung am Arbeitsplatz wird es in Europa nicht geben. Zur biometrischen Fernidentifikation enthält die Verordnung strenge und einschränkende Vorgaben und beugt einer flächendeckenden biometrischen Überwachung vor.
  • Risikobasierte Ansatz: Je höher das Risiko ist, desto strenger sind auch die Pflichten. Während KI-Systeme mit einem inakzeptablen Risiko (wie etwa Social Scoring) gänzlich verboten werden und für Hochrisiko-KI-Systeme strenge technische und organisatorische Anforderungen gelten, unterliegen Anwendungen mit geringem Risiko lediglich bestimmten Transparenz- und Informationspflichten.
  • Besondere Vorschriften wird es zudem für generative KI geben, namentlich sog. KI-Modelle mit allgemeinem Verwendungszweck, darunter auch solche, die Inhalte wie Texte und Bilder generieren. Dabei unterliegen besonders wirkmächtige KI-Modelle mit systemischem Risiko strengeren Auflagen.
  • Konkretisierend wird es auf Verhaltenskodizes (Codes of Practice) ankommen, die zusammen mit Modellanbietern und Stakeholdern erarbeitet werden, bis später auf Standards und damit harmonisierte europäische Normen zurückgegriffen werden kann. Damit wird der hochdynamischen Entwicklung von KI Rechnung getragen und unter anderem sichergestellt, dass Anwender über die für sie notwendigen Informationen verfügen. Die Pflichten sind auch infolge des Einsatzes der Bundesregierung begrenzt und möglichst praktikabel ausgestaltet.
  • Das gilt insbesondere für das Urheberrecht. Während die Regelungen des europäischen Urheberrechts uneingeschränkt gelten, soll durch angemessene und erfüllbare Transparenzvorgaben den Rechtsinhabern die Durchsetzung ihrer Rechte in Zukunft erleichtert werden.
  • Auch für kleine und mittlere Unternehmen wird Transparenz die Anwendung von KI erleichtern. Insgesamt sollen die Interessen und Bedürfnisse von KMU und Start-ups verstärkt berücksichtigt werden – auch durch die von der Bundesregierung eingebrachten Regeln für Reallabore, die Freiräume zur Erprobung von Innovationen schaffen.

Hinweis:

Vor Inkrafttreten der KI-Verordnung müssen noch das Europäische Parlament und eine Ratsformation formell zustimmen. Die Verordnung tritt am 20. Tag nach Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft und findet grundsätzlich 24 Monate später Anwendung. Einige Vorschriften sind aber auch schon früher anwendbar: So greifen die Verbote bereits nach sechs Monaten, die Vorschriften zu KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck gelten nach 12 Monaten.

Bei der nun anstehenden Umsetzung wird sich die Bundesregierung gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission für eine bürokratiearme und innovationsfreundliche Lösung einsetzen

Steuerbescheinigungen für Kapitalerträge

Das BMF hat zur Ausstellung von Steuerbescheinigungen nach § 45a Abs. 2 und 3 EStG Stellung genommen und sein Schreiben v. 23.05.2022 ergänzt (BMF, Schreiben v. 13.02.2024 – IV C 1 – S 2401/19/10001 :009).

Danach wird Rn. 71 des BMF-Schreibens v. 23.05.2022 wie folgt gefasst:

  1. Anwendungsregelung, Nichtbeanstandungsregelung und Fundstellennachweis

Für Kapitalerträge, die nach dem 31.12.2021 zufließen, ersetzt dieses Schreiben die BMF-Schreiben vom 15.12.2017 (BStBl 2018 I S. 13), vom 27.06.2018 (BStBl I S. 805), vom 11.11.2020 (BStBl I S. 1134), vom 18.02.2021 (BStBl I S. 295) und vom 13.04.2021 (BStBl I S. 686).

Wurden bereits Steuerbescheinigungen für ein Kalenderjahr nach den bisherigen Mustern ausgestellt und ändern sich danach durch dieses Schreiben Ausweispflichten in den Mustern, behalten die bereits ausgestellten Steuerbescheinigungen ihre Gültigkeit. Es wird nicht beanstandet, wenn bis zum 31.12.2022 Einzelsteuerbescheinigungen, in der mit BMF-Schreiben vom 15.12.2017 (BStBl 2018 I S. 13) veröffentlichten Form, erteilt werden. Zudem wird für das Jahr 2021 nicht beanstandet, wenn Institute die einzelnen „davon“-Ausweise – betreffend die Randnummern 32 und 32a – in Muster I auf die Höhe der Kapitalerträge gedeckelt haben. Es wird nicht beanstandet, wenn Steuerbescheinigungen für Kapitalerträge, die vor dem 01.01.2025 zufließen, in der mit BMF-Schreiben vom 23.05.2022 (BStBl I S. 860) veröffentlichten Form erteilt werden.

Die Änderungen der Rn. 6 zur elektronischen Übermittlung einer berichtigten Steuerbescheinigung sind auf Kapitalerträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2022 zufließen. Es wird jedoch nicht beanstandet, wenn die Regelung wegen der technischen Umsetzung erst für Kapitalerträge, die nach dem 31.12.2023 zufließen, angewendet wird. Für sogenannte Kleinmelder, die über das ELSTER-Verfahren elektronisch übermitteln, wird die vorstehende Nichtbeanstandungsregelung nochmal bis zum 30.06.2024 verlängert.

Beiträge zu einer schweizerischen öffentlich-rechtlichen Pensionskasse

Bei über­obliga­torischen Arbeit­geber­beiträgen an eine schweize­rische öffent­lich-recht­liche Pensions­kasse handelt es sich um Arbeits­lohn, der dem Arbeit­nehmer im Zeitpunkt der Beitrags­leistung zufließt. Sie sind keine gemäß § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG steuer­freien Zukunfts­siche­rungs­leistun­gen (BFH, Urteil v. 12.10.2023 – VI R 46/20; veröf­fent­licht am 15.02.2024).

Arbeitsrecht: Kündigung wegen eines Austritts aus der katholischen Kirche

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat den EuGH um die Auslegung des Unionsrechts zu der Frage ersucht, ob ein der katholischen Kirche zugeordneter Arbeitgeber, der von den bei ihm tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören, das Arbeitsverhältnis allein aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft zur katholischen Kirche kündigen darf, wenn der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche austritt (BAG, Beschluss v. 01.02.2024 – 2 AZR 196/22 (A)).

Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes beschlossen

Die Bundesregierung hat am 07.02.2024 eine Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes beschlossen („Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes“). Ziel ist es u.a., Transparenz und Verbraucherschutz beim Scoring zu stärken.

Hintergrund: Wenn Verbraucher Waren online bestellen oder einen neuen Mobilfunkvertrag abschließen, gehen Händler und Unternehmen meist in Vorleistung. Um das Risiko von Zahlungsausfällen einzuschätzen, lassen die Firmen oft Wirtschaftsauskunfteien die Bonitätsrisiken der jeweiligen Kunden berechnen. Diese Praxis nennt sich Scoring und ist für viele wirtschaftliche Entscheidungen von Unternehmen maßgeblich.

Scoring erfolgt auf Basis von großen Mengen an Daten über die betroffenen Personen. Die Berechnung und die darauf aufbauenden Entscheidungen werden zunehmend automatisiert getroffen. Damit steigen die Risiken für Verbraucher. Mit den nun im Kabinett beschlossenen Änderungen im Bundesdatenschutzgesetz will die Bundesregierung u.a. die Rechte von Verbrauchern stärken. Sie reagiert damit auf ein Urteil des EuGH v. 07.12.2023 – C-634/21 „SCHUFA Holding (Scoring)“, wonach aus Art. 22 der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) das Verbot folgt, Personen einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhenden Entscheidung zu unterwerfen, die ihnen gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet. Nach dieser Rechtsprechung kann bereits die Bildung eines Score-Wertes durch eine Auskunftei eine solche automatisierte Entscheidung sein, wenn von diesem Score-Wert die Entscheidung eines Dritten maßgeblich abhängt. Mit dem von der Regierung beschlossenen Gesetzentwurf soll z. B. für das Kreditscoring eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, die dem Schutz von Verbrauchern dient.

Vorgesehen ist u. a., dass für die Bildung von Wahrscheinlichkeitswerten beim Scoring folgende Daten nicht verwendet werden dürfen:

  • besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 DSGVO wie die ethnische Herkunft, biometrische Daten und Gesundheitsdaten,
  • der Name der betroffenen Person oder personenbezogene Daten aus ihrer Nutzung sozialer Netzwerke,
  • Informationen über Zahlungseingänge und -ausgänge von Bankkonten,
  • Anschriftendaten,
  • Daten, die minderjährige Person betreffen.

Hinweis:

Die Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes muss noch im Bundestag verabschiedet werden und den Bundesrat passieren.

Der Gesetzentwurf ist auf der Homepage des Bundesinnenministeriums (BMI) veröffentlicht.

Verantwortung für korrekte sozialversicherungsrechtliche Meldung von Beschäftigten

Praxisinhaber tragen die Verantwortung für die richtige sozialversicherungsrechtliche Meldung von Beschäftigten (Landessozialgericht (LSG) NRW, Urteil v. 25.10.2023 – L 8 BA 194/21).

Sachverhalt: Die Klägerin betreibt eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis. Die Beigeladene war von April bis Oktober 2023 bei ihr als medizinische Fachangestellte beschäftigt (im Durchschnitt zwei Stunden pro Woche, rund 80 € pro Monat). Nach dem Arbeitsvertrag übte sie bei Aufnahme ihrer Beschäftigung bei der Klägerin bereits zwei sozialversicherungspflichtige Hauptbeschäftigungen und eine weitere geringfügige Beschäftigung aus.

Im streitigen Zeitraum entrichtete die Klägerin für die Beigeladene Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung. Nach einer Betriebsprüfung erhob die beklagte Deutsche Rentenversicherung Westfalen (DRV Westfalen) Beiträge zur Sozialversicherung nach (gut 900 €). Pauschalbeiträge seien nur für die erste geringfügige Beschäftigung zu entrichten. Die hier zu beurteilende zweite sei in vollem Umfang versicherungspflichtig. Dagegen wehrte sich die Klägerin vergeblich vor dem SG Dortmund.

Dessen Urteil hat das LSG nun bestätigt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen:

  • Wenn ein Beschäftigter neben seiner versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung mehrere geringfügige Nebenbeschäftigungen ausübt, ist nach § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB IV nur eine (einzige) dieser Tätigkeiten vom Zusammenrechnungsgebot ausgenommen. Als diese eine zusammenrechnungsfreie Tätigkeit hat die DRV Westfalen im Streitfall zutreffend diejenige angesehen, die zeitlich vor der streitigen Tätigkeit bei der Klägerin begonnen worden ist.
  • Die rechtlich fehlerhafte Beurteilung des ihm bekannten Sachverhalts ist einer dem Arbeitgeber unverschuldeten, schutzwürdigen Unkenntnis einer bereits ausgeübten geringfügigen Nebenbeschäftigung nicht gleichzusetzen.
  • Die (richtige) sozialversicherungsrechtliche Meldung von Beschäftigten liegt grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers. Etwaige Fehlbeurteilungen bzw. Irrtümer sind auf den Eintritt der gesetzlich angeordneten Versicherungs- und Beitragspflichten ohne Einfluss.
  • Schwierigkeiten bei der (rechtlich) zutreffenden Meldung ist durch die Einholung von Informationen bei sachkundigen Personen und Stellen zu begegnen. Nahe liegt es hier insbesondere, eine förmliche Entscheidung der Einzugsstelle (§ 28i Satz 5 SGB IV) zu beantragen.

Quelle: LSG NRW, Pressemitteilung v. 02.02.2024

Besteuerung von sog. In-App-Käufen

Der BFH hat dem EuGH diverse Fragen zur Besteuerung von Umsätzen, die eine deutsche App-Entwicklerin über einen in Irland ansässigen Appstore ausgeführt hat, zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Streitfall betrifft die Rechtslage bis zum 31.12.2014 (BFH, Beschluss v. 23.08.2023 – XI R 10/20; veröffentlicht am 08.02.2024).

Sachverhalt: Die Beteiligten streiten über die Umsatzbesteuerung von sog. In-App-Käufen in den Streitjahren 2012 bis 2014, in denen Art. 9a der Mehrwertsteuer-Durchführungsverordnung (und die deutsche Umsetzung in § 3 Abs. 11a UStG) noch nicht in Kraft getreten waren:

Die Klägerin, eine in Deutschland ansässige Steuerpflichtige, entwickelt und vertreibt Spiele-Apps für mobile Endgeräte. Für den Vertrieb nutzte sie u.a. einen Appstore, der von der in Irland ansässigen X betrieben wurde. Endkunden, die mobile Endgeräte mit einem bestimmten Betriebssystem nutzten, konnten Spiele-Apps der Klägerin in den Streitjahren ausschließlich über den Appstore zunächst kostenlos herunterladen. Durch den entgeltlichen Erwerb von Verbesserungen oder anderen Vorteilen (In-App-Käufe) konnte der Endkunde im Spielgeschehen vorankommen oder andere Vorteile erlangen.

Die Abwicklung dieser sog. In-App-Käufe erfolgte über den Appstore und mittels einer der dort vom Endkunden hinterlegten Zahlungsmethode. Während des Bezahlprozesses wurde die Klägerin nicht als Leistende genannt. Erst in der nach dem Kaufvorgang per E-Mail versendeten Bestellbestätigung wurde die Klägerin namentlich genannt.

X rechnete die App-Käufe monatlich mit der Klägerin ab und behielt eine Provision von 30 % ein.

Im Klageverfahren stritten die Beteiligten um die Frage, wer umsatzsteuerrechtlicher Leistungserbringer sei. Die Klägerin vertrat die Ansicht, dass eine Dienstleistungskommission (§ 3 Abs. 11 UStG, Art. 28 MwStSystRL) vorliege. Sie habe ihre Dienstleistungen an X erbracht und X die Leistungen an die Endkunden. Der Ort ihrer Leistungen an X liege gemäß § 3a Abs. 2 UStG, Art. 44 MwStSystRL in Irland. Aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers verkaufe X das jeweils über den Appstore erworbene Produkt. Dies gelte auch für die hier streitgegenständlichen In-App-Käufe.

Das FA vertrat dagegen die Auffassung, dass X lediglich als Vermittlerin anzusehen sei.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Die Umsätze der Klägerin seien nicht in Deutschland steuerbar, weil Empfängerin der Dienstleistungen der Klägerin X sei. Der Leistungsort liege gemäß § 3a Abs. 2 UStG, Art. 44 MwStSystRL in Irland (FG Hamburg, Urteil v. 25.02.2020 – 6 K 111/18.

Die Richter des BFH haben das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die folgenden drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  • Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen eine deutsche Steuerpflichtige (Entwicklerin) vor dem 01.01.2015 eine Dienstleistung auf elektronischem Weg an im Gemeinschaftsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige (Endkunden) über einen Appstore einer irischen Steuerpflichtigen erbracht hat, Art. 28 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) anzuwenden mit der Folge, dass die irische Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob sie diese Dienstleistungen von der Entwicklerin erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, weil der Appstore erst in den – den Endkunden erteilten – Bestellbestätigungen die Entwicklerin als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat?
  • Bei Bejahung der Frage 1: Liegt der Ort der gemäß Art. 28 MwStSystRL fingierten, von der Entwicklerin an den Appstore erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 MwStSystRL in Irland oder gemäß Art. 45 MwStSystRL in Deutschland?
  • Falls nach der Antwort auf die Fragen 1 und 2 die Entwicklerin keine Dienstleistungen in Deutschland erbracht hat: Besteht eine Steuerschuld der Entwicklerin für deutsche Umsatzsteuer gemäß Art. 203 MwStSystRL, weil der Appstore sie vereinbarungsgemäß in seinen per E-Mail an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat, obwohl die Endkunden nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind?

Die Klärung der ersten Frage durch den EuGH ist erforderlich, da für Umsätze vor dem 01.01.2015, bei denen der Leistungsort gemäß Art. 58 MwStSystRL a. F. noch nicht bei den im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Leistungsempfängern lag, in allen nicht bestandskräftigen Fällen die Nichtbesteuerung von Umsätzen droht, die über den Appstore der X abgewickelt worden sind: In Irland würden sie nicht besteuert, weil Irland von einem Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats der Entwickler (hier: Deutschland) ausgeht. In Deutschland würden sie nicht besteuert, wenn der Senat die Auffassung des FG bestätigen würde, das von einem Besteuerungsrecht Irlands ausgegangen ist. Angesichts des Umfangs der Umsätze, die über Appstores abgewickelt wurden, erscheint eine Klärung durch den EuGH erforderlich, um eine unterschiedliche Beurteilung in den Mitgliedstaaten zu verhindern.

Mit der zweiten Frage ersucht der BFH um Klärung der Rechtsfolgen des Art. 28 MwStSystRL.

Mit der dritten Frage will der BFH klären lassen, welche Auswirkungen es hat, dass X mit Einverständnis der Klägerin per E-Mail Bestellbestätigungen versandt hat, in denen angegeben worden ist, dass bei der Klägerin im Appstore eingekauft worden sei, und in denen der Bruttopreis und die darin enthaltene deutsche Umsatzsteuer genannt sind.

Quelle: BFH, Beschluss v. 23.08.2023 – XI R 10/20

Fahrzeugeinzelbesteuerung

Das BMF hat Abschnitt 18.9 Abs. 1 UStAE zum Verfahren bei der Fahrzeugeinzelbesteuerung angepasst (BMF, Schreiben v. 07.02.2024 – III C 3 – S 7352/24/10001 :001).

Danach wird Abschnitt 18.9 Abs. 1 UStAE wie folgt gefasst:

Beim innergemeinschaftlichen Erwerb neuer Fahrzeuge (§ 1b UStG) durch andere Erwerber als die in § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG genannten Personen hat der Erwerber für jedes erworbene neue Fahrzeug eine Steuererklärung für die Fahrzeugeinzelbesteuerung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln oder nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben (§ 16 Abs. 5a, § 18 Abs. 5a UStG; Abschnitt 16.3). Der Erwerber hat bei Verwendung des Vordrucks diesen eigenhändig zu unterschreiben und ihm die vom Lieferer ausgestellte Rechnung beizufügen. §§ 167 und 168 AO sind anzuwenden.“

Hinweis:

Die Regelung ist auf alle offenen Fälle anzuwenden.

Privatunterricht: Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland

Die Europäische Kommission hat eine Entscheidung im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland gefällt. Sie fordert Deutschland zur Einhaltung der EU-Mehrwertsteuervorschriften für Privatunterricht auf.

Hintergrund: Nach der MwStSystRL sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht von der Mehrwertsteuer zu befreien. Die Mitgliedstaaten dürfen nur weitere Bedingungen stellen, um eine korrekte und einfache Anwendung dieser Befreiung zu gewährleisten und Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch zu verhindern. Dies muss so erfolgen, dass Steuerpflichtige, die ein Recht auf eine Mehrwertsteuerbefreiung haben, diese auch wirksam in Anspruch nehmen können.

Hierzu führt die EU-Kommission weiter aus:

  • Die Europäische Kommission hat beschlossen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Deutschland (INFR(2015)2011) zu richten, weil das Land die EU-Vorschriften zur Befreiung von Privatunterricht von der Mehrwertsteuer gemäß der MwStSystRL, wie vom EuGH klargestellt, nicht ordnungsgemäß anwendet.
  • In Deutschland müssen Privatlehrer eine Bescheinigung vorlegen, um in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung zu kommen. Aus dieser von der zuständigen Landesbehörde auszustellenden Bescheinigung muss hervorgehen, dass die Unterrichtsleistungen auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten.
  • Dieses Erfordernis steht nicht im Einklang mit dem EU-Recht in der Auslegung durch den EuGH. Somit verstößt Deutschland nach Auffassung der Kommission gegen seine Verpflichtungen aus der MwStSystRL.
  • Daher hat die Kommission beschlossen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Land zu richten, das nun binnen zwei Monaten reagieren und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen muss. Andernfalls kann die Kommission den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen.

Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung v. 07.02.2024 (il)

Cum/Ex-Gestaltungen: Rückforderung

Wenn der Begünstigte einer Anrechnung von Kapitalertragsteuer die Unrichtigkeit seiner Angaben und/oder die Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, ist das Ermessen bei einer Rücknahme der Anrechnungsverfügung (§ 130 Abs. 2 Nr. 3 und 4 AO) intendiert. Beim Vorliegen von mehreren Rücknahmegründen verstärkt sich das Interesse des Staates an der Rücknahme und damit der Herstellung der materiellen Gerechtigkeit (FG Hamburg, Urteil v. 09.11.2023 – 6 K 228/20, nicht rechtskräftig).