Übergangsrecht zur Einführung der Veräußerungsgewinnbesteuerung

Die durch § 52 Abs. 28 Satz 16 Teilsatz 3 EStG bewirkte Einbeziehung unechter Finanzinnovationen in die Veräußerungsgewinnbesteuerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG mit Wirkung vom 01.01.2009 ist verfassungsgemäß (BFH, Urteil v. 13.12.2022 – VIII R 23/20; veröffentlicht am 16.03.2023). Hintergrund: Der Verkauf von „normalen“ festverzinslichen Anleihen unterliegt nicht der Abgeltungsteuer, wenn diese vor dem 01.01.2009 erworben wurden. Der Bestandsschutz gilt nicht für den Verkauf sog. Finanzinnovationen. Gewinne wie Verluste aus Finanzinnovationen waren bereits nach der Rechtslage bis 2008 in Höhe der besitzzeitanteiligen Emissionsrendite oder der Marktrendite steuerpflichtig. Zwar hatte der BFH die Veräußerung sog. unechter Finanzinnovationen, bei denen eine Unterscheidung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich war, für Jahre bis 2008 aus dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG a.F. ausgenommen. Dennoch gewährt der Gesetzgeber hierfür keinen Bestandsschutz im Rahmen der Abgeltungsteuer. Der Regelungsinhalt des jetzigen § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG wurde mit dem JStG 2009 dahingehend ergänzt, dass der Bestandsschutz (auch) nicht für Finanzinnovationen gilt, wenn die Rückzahlung nur teilweise garantiert ist oder wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich erscheint.

Mehr Mindestlohn, leichtere Pakete

Arbeitsminister Heil rechnet für 2024 mit einer deutlichen Mindestlohnerhöhung.
Zudem will er die Arbeitsbedingungen von Paketboten sowie Angestellten von Firmen ver-bessern, die im Bundesauftrag tätig sind.
Zum kommenden Januar erwartet Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eine „deutliche Stei-gerung“ des Mindestlohns.
„Denn wir haben nicht nur weiter eine hohe Inflation, sondern auch ordentliche Tariferhöhungen, die sich bei der anstehenden Erhöhung des Mindestlohns niederschlagen werden.“
Arbeit müsse sich lohnen.

Vorschlag im Sommer erwartet
Im Sommer werde die Mindestlohnkommission ihm einen Vorschlag machen.
Aktuell liegt der Mindestlohn in Deutschland bei zwölf Euro pro Stunde.
Angesichts der hohen Inflation war im März bereits Streit über die nächste Mindestlohnerhöhung entbrannt.
Sozialverbände forderten einen kräftigen Anstieg auf 14 Euro und mehr, die Arbeitgeber warnten vor „unrealistischen Höhen“.
Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte den Mindestlohn im vergangenen Jahr ausnahmsweise per Gesetz angehoben.
Zum 1. Oktober 2022 war er von 10,45 Euro auf zwölf Euro gestiegen.
Den nächsten Erhöhungsschritt soll dann wieder die Mindestlohnkommission mit Vertreterinnen und Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorschlagen.
Dies soll bis zum 30. Juni mit Wirkung zum 1. Januar 2024 geschehen.

Bundesaufträge nur für tariftreue Unternehmen
Arbeitsminister Heil will zudem bis zum Sommer ein Gesetz auf den Weg bringen, laut dem Aufträge des Bundes künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden dürfen, die sich an Tarifverträge halten.
„Wenn wir als Staat Steuergeld ausgeben, dann dürfen davon nicht länger Unternehmer pro-fitieren, die ihre Leute nicht ordentlich bezahlen.“
Dies hatten SPD, Grüne und FDP bereits in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, um die Tarif-bindung zu stärken. Bis Juni werde er mit Wirtschaftsminister Robert Habeck einen Gesetzentwurf vorlegen, der im Bund die Tariftreue vorschreibt, sagte Heil.
Wenn alles im Bundestag gut laufe, solle das Gesetz zum 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Paketboten sollen weniger schleppen
Zudem will Heil die Arbeitsbedingungen von Paketboten verbessern und ein Verbot von Paketen über 20 Kilogramm durchsetzen.
„Pakete, die mehr als 20 Kilogramm wiegen, müssen dann künftig durch Speditionen mit zwei Personen zugestellt werden.“
Hier gehe es um die Gesundheit von Menschen, die mit ihrer Arbeit unseren Alltag erleichtern und das Land am Laufen hielten.
Auch für mittelschwere Pakete will Heil die Vorschriften verschärfen.
Künftig soll es „für Pakete ab zehn Kilogramm eine Kennzeichnungspflicht geben.
Damit der Bote gleich sieht, was er sich zumuten kann.“
Die Umsetzung soll über die Novelle des Postgesetzes erfolgen, an der aktuell das Wirt-schaftsministerium arbeitet.

Bewertung eines GmbH-Anteils

Bleiben die Gewinnbezugs- und Stimmrechte, mit denen ein Anteil an einer Kapitalgesellschaft ausgestattet ist, erheblich hinter dem Anteil am Nominalkapital zurück, ist dies bei der Ermittlung des gemeinen Werts des Anteils regelmäßig wertmindernd zu berücksichtigen, sofern die Liquidation der Gesellschaft nicht konkret absehbar ist (BFH, Urteil v. 16.11.2022 – X R 17/20; veröffentlicht am 16.03.2023).

Corona-Infektion als Arbeitsunfall

Das Sozialgericht Speyer hat entschieden, dass eine Corona-Infektion zwar grundsätzlich einen Arbeitsunfall darstellen kann. Im Streitfall fehlte aber die haftungsbegründende Unfallkausalität. Es war nicht aufklärbar, ob sich der Angestellte bei der beruflichen Tätigkeit oder im privaten Bereich mit dem Covid-19-Virus angesteckt hat (SG Speyer, Urteil v. 07.02.2023 – S 12 U 188/21, nicht rechtskräftig).

Feststellungsbescheide zum steuerlichen Einlagekonto

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit seiner Entscheidung vom 21.12.2022 (I R 53/19) seine Grundsätze für die Anfechtung der Feststellungsbescheide für das steuerliche Einlagenkonto weiter präzisiert.
Sachverhalt im Besprechungsfall
An der A-GmbH war die D-AG beteiligt und leistete im Streitjahr eine Einlage, die in die Kapitalrücklage eingestellt wurde. Die Feststellungserklärung der A-GmbH für das Einlagenkonto wurde fälschlicherweise mit 0 € angegeben. Die A-GmbH beantragte eine entsprechende Änderung, die vom beklagten Finanzamt, nachdem die D-AG mittels eines Einspruchs eine Änderung des Feststellungsbescheids beantragt hatte, als unzulässig abgelehnt wurde. Der Einspruch der D-AG wurde ebenfalls abgewiesen, da eine Drittanfechtung mangels eigener Beschwer der D-AG nicht möglich sei. Einspruch und Klage der D-AG blieben erfolglos, der BFH folgte dem.
Grundsätze und Entscheidung im Besprechungsfall
Einleitend stellt der BFH klar, dass die Kapitalgesellschaft als Adressatin des Feststellungsbescheids trotz der vorrangig anteilseigner bezogenen Wirkungen des Bescheids klagebefugt ist. Der Feststellungsbescheid bzgl. des Einlagenkontos richtet sich ausschließlich gegen die darin genannte Kapitalgesellschaft, auch wenn dem steuerlichen Einlagekonto für die eigene Ertragsbesteuerung der Kapitalgesellschaft keine unmittelbare Bedeutung zukommt. Dieser Bescheid entfaltet materiell-rechtliche Bindungswirkung auch für die Anteilseigner: Gilt das steuerliche Einlagekonto für die Leistung der Körperschaft als verwendet, so ist diese Verwendungsfiktion auch auf der Ebene der Gesellschafter zu beachten.
Ein Gesellschafter kann sich deshalb in einem die eigene Besteuerung betreffenden Verfahren nicht mit Erfolg darauf berufen, das steuerliche Einlagekonto sei im Bescheid über die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos unzutreffend ausgewiesen. Ein Drittanfechtungsrecht des Gesellschafters folge daraus nicht. Zwar ist der Anteilseigner materiell-rechtlich vom Feststellungsbescheid mittelbar betroffen, jedoch kann die Körperschaft den Feststellungsbescheid vollumfänglich außergerichtlich und gerichtlich überprüfen lassen. Deswegen lehnt der BFH ein eigenes Anfechtungsrecht des Anteilseigners ab, zumal damit Rechtsfolgen verbunden wären, die gegen den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit verstoßen würden.
Die Gesellschafter wären bei Zuerkennung eines eigenen Anfechtungsrechts wegen fehlender Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an sie jederzeit befugt, die Feststellung mit dem Einspruch anzugreifen. Eine Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an die Gesellschafter als denkbare Drittbetroffene würde keine Bestandskraft herbeiführen können, da bei größeren Kapitalgesellschaften der Gesellschafterbestand unüberschaubar bzw. die Bekanntgabe an künftige Gesellschafter unmöglich ist. Auch die Verjährungsvorschriften würden das etwaige Anfechtungsrecht des Anteilseigners in zeitlicher Hinsicht nicht eingrenzen, wie sich aus § 181 Abs. 5 Satz 1 AO ergibt. Der damit einhergehende Zustand „vollständiger Bestandskraftlosigkeit und Unverjährbarkeit“ wäre mit dem Gebot der Rechtssicherheit, das für das gesamte steuerliche Verfahrensrecht systemprägend ist, nicht zu vereinbaren. Daher folgte der BFH dem Urteil des Finanzgerichts.

Restnutzungsdauer eines Mietobjekts

Mit zwei Urteilen vom 14. Februar 2023 (Az. 1 K 3840/19 F und 1 K 3841/19 F) hat der 1. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass vom Steuerpflichtigen eingeholte Wertgutachten, in denen die Restnutzungsdauern von Mietobjekten nach der Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) berechnet werden, der Ermittlung der AfA zugrunde gelegt werden können.
Die Klägerinnen der beiden Verfahren sind vermögensverwaltende GmbH & Co. KGen, die Vermietungseinkünfte aus verschiedenen Objekten erzielen. Die Gebäude sind in den 1920er Jahren bzw. um 1950 errichtet worden. Die Klägerinnen begehrten eine Berechnung der AfA nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG, da die tatsächlichen Restnutzungsdauer der Gebäude niedriger seien als 40 bzw. 50 Jahre. Hierzu reichten sie beim Finanzamt jeweils selbst in Auftrag gegebene Verkehrswertgutachten einer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen über den gesamten Immobilienbestand ein. Im Rahmen dieser Gutachten ermittelte die Sachverständige die jeweilige Restnutzungsdauer der einzelnen Gebäude nach den Regelungen der ImmoWertV. Danach wird die Restnutzungsdauer grundsätzlich durch Abzug des Alters von der Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlagen ermittelt. Wurden in der Vergangenheit Um- und Ausbau- oder Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen durchgeführt, durch welche sich die Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer verlängert hatte, schätzte die Gutachterin die Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung dieser Modernisierungsmaßnahmen anhand der Anlage III zum Sachwertmodell der Vorsitzenden der Gutachterausschüsse in Nordrhein-Westfalen (AGVGA NRW). Aufgrund des Alters der Gebäude lagen die Restnutzungsdauern unterhalb der gesetzlich typisierten Restnutzungsdauern von 40 bzw. 50 Jahren.
Das Finanzamt erkannte die Berechnung der Restnutzungsdauern in den Gutachten nicht an. Die Klägerinnen hätten kürzere Nutzungsdauern weder durch technischen Verschleiß noch aus wirtschaftlichen Gründen glaubhaft gemacht, da die Gutachten insoweit lediglich mathematische Ermittlungen enthielten.
Die Klägerinnen beriefen sich im Klageverfahren insbesondere auf das zwischenzeitlich ergangene BFH-Urteil vom 28. Juli 2021 (Az. IX R 25/19). Danach sei jede Methode zulässig, die geeignet sei, einen angemessenen Schätzungsrahmen darzulegen.
Beide Klagen hatten vollumfänglich Erfolg. Der 1. Senat des Finanzgerichts Münster hat ausgeführt, dass den Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 28. Juli 2021 (Az. IX R 25/19) ein Wahlrecht zustehe, sich mit den typisierten AfA-Sätzen zufriedenzugeben oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend zu machen und darzulegen. Dabei sei keine Gewissheit über eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer erforderlich. Vielmehr könne allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden, sodass eine Schätzung des Steuerpflichtigen nur dann zu verwerfen sei, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liege. Dabei könne das Verfahren der Gebäudesachwertermittlung nach der ImmoWertVO Anwendung finden, auch wenn dieses eine modellhafte Berechnung darstelle, die nicht primär auf die Ermittlung der tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG gerichtet sei.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die von den Klägerinnen auf Grundlage der eingereichten Gutachten ermittelten Restnutzungsdauern nicht zu beanstanden. Die Gutachterin habe nach Ortsbesichtigung den Zustand der einzelnen Objekte, die Ausstattung der Wohnungen, die Bauweise und den Unterhaltungszustand der Gebäude dargestellt. Sie habe bei der Berechnung der Nutzungsdauern die Regelungen der ImmoWertV angewandt und für durchgeführte Um- und Ausbau- oder Modernisierungsmaßnahmen das von der AGVGA NRW entwickelte Punkteverfahren angewandt. Als Gesamtnutzungsdauer habe die Gutachterin die vom jeweiligen örtlich zuständigen Gutachterausschuss zur Ableitung der Liegenschaftszinssätze zugrunde gelegte Gesamtnutzungsdauer angesetzt.

Steuerschädliches Vorbehalten in Bezug auf eine Pensionszusage

Enthält eine Pensionszusage einen Vorbehalt, demzufolge die Pensionsanwartschaft oder Pensionsleistung gemindert oder entzogen werden kann, ist die Bildung einer Pensionsrückstellung steuerrechtlich nur in eng begrenzten Fällen zulässig. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 06.12.2022 – IV R 21/19 entschieden.
Im Streitfall hatte die Rechtsvorgängerin der Klägerin eine betriebliche Altersversorgung für ihre Mitarbeiter eingeführt und für die hieraus resultierenden Verpflichtungen sog. Pensionsrückstellungen gebildet. Einzelheiten waren in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Die Höhe der Versorgungsleistungen ergab sich aus sog. Versorgungsbausteinen, die aus einer „Transformationstabelle“ abzuleiten waren. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte sich vorbehalten, u.a. diese Transformationstabelle einseitig ersetzen zu können. Wegen dieses Vorbehalts erkannte das Finanzamt die sog. Pensionsrückstellungen nicht an, so dass es in den Streitjahren jeweils zu Gewinnerhöhungen kam.
Auch der BFH sah den Vorbehalt als steuerschädlich an. Die Bildung einer Pensionsrückstellung sei steuerrechtlich nur zulässig, wenn der Vorbehalt ausdrücklich einen nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten, eng begrenzten Tatbestand normiere, der nur ausnahmsweise eine Minderung oder einen Entzug der Pensionsanwartschaft oder Pensionsleistung gestatte. Demgegenüber seien uneingeschränkte Widerrufsvorbehalte, deren arbeitsrechtliche Gültigkeit oder Reichweite zweifelhaft oder ungeklärt sei, steuerrechtlich schädlich. Auch im Streitfall sei dies der Fall, da der Vorbehalt eine Änderung der Pensionszusage in das Belieben des Arbeitgebers stelle. Der Vorbehalt sei keiner in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Fallgruppe zuzuordnen, bei der ein Abschlag ausgeschlossen sei.

Aufhebung Urteil gegen falschen Beklagten

Ein nach einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel gegen den falschen Beklagten ergangenes Urteil des FG ist auf die Revision des falschen Beklagten hin aufzuheben. Der Rechtsstreit ist in einem solchen Fall an das FG zurückzuverweisen, wenn der richtige Beklagte selbst nicht ebenfalls Revision eingelegt hat und der Prozessführung des falschen Beklagten im Revisionsverfahren auch nicht zugestimmt hat (BFH, Urteil v. 13.12.2022 – VIII R 33/20; veröffentlicht am 09.03.2023).

Übergangsregelung vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren

§ 38 Abs. 5 und 6 i.V.m. § 34 Abs. 16 Satz 1 KStG in der Fassung des JStG 2008 v. 20.12.2007 ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß bis zum 31.12.2023 rückwirkend zu beseitigen. Diese Verpflichtung erfasst alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen, die auf den für verfassungswidrig erklärten Vorschriften beruhen. Bis zu einer Neuregelung dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Normen im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen (BVerfG, Beschluss v. 07.12.2022 – 2 BvR 988/16; veröffentlicht am 08.03.2023).
Hintergrund: Die o.g. Regelung ist Teil der Übergangsvorschriften für den Systemwechsel vom körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren. Während der Geltung des Anrechnungsverfahrens wurde das verwendbare Eigenkapital einer Gesellschaft entsprechend seiner Vorbelastung mit Körperschaftsteuer in verschiedene „Eigenkapitaltöpfe“ (EK) gegliedert. Steuerfreie Vermögensmehrungen wurden unter anderem im sogenannten EK 02 erfasst. Im Falle der Ausschüttung dieses Eigenkapitals wurde es bei Verlassen der steuerbefreiten Sphäre auf der Ebene der Körperschaft mit (zuletzt) 30 % nachbelastet. Beim Anteilseigner wurde die Ausschüttung – unter Anrechnung der von der Kapitalgesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer – mit dessen individuellem Einkommensteuersatz besteuert. Unter dem Halbeinkünfteverfahren erfolgt im Falle der Ausschüttung keine Nachbelastung der von der Körperschaft steuerfrei erwirtschafteten Gewinne; beim Anteilseigner unterliegt die Ausschüttung nur zur Hälfte (seit 2009 zu 60 %) der Einkommensteuer.
Nach der ursprünglichen Übergangsregelung zur Einführung des Halbeinkünfteverfahrens durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 (StSenkG) sollte das alte EK 02 nur noch bis zum Ablauf eines 15-jährigen (später auf 18 Jahre erweiterten) Übergangszeitraums im Falle seiner Ausschüttung mit 30 % nachbelastet werden. Durch das Jahressteuergesetz 2008 wurde mit § 38 Abs. 5 und 6 KStG stattdessen eine pauschale ausschüttungsunabhängige Nachbelastung des noch vorhandenen EK 02 mit 3 % Körperschaftsteuer eingeführt. Gemäß § 34 Abs. 16 Satz 1 KStG (in der Fassung des JStG 2008) konnten sich bestimmte Unternehmen aus dem Bereich der Wohnungswirtschaft und steuerbefreite Körperschaften auf Antrag unter Fortgeltung der bisherigen Rechtslage von der Anwendung dieser Regelung befreien lassen. Das hat zur Folge, dass es für diese Unternehmen nur im Falle einer Ausschüttung während des 18-jährigen Übergangszeitraums zu einer Nachbelastung des EK 02 kommt, während der EK 02-Bestand anderer Körperschaften zwingend – das heißt unabhängig davon, ob er ausgeschüttet wird oder nicht – gemäß § 38 Abs. 5 und 6 KStG nachbelastet wird.
Die ausschüttungsunabhängige Nachbelastung des EK 02 durch § 38 Abs. 5 und 6 KStG ist zwar für sich genommen sowohl mit dem allgemeinen Gleichheitssatz als auch mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes sowie dem Schutz des Eigentums und der allgemeinen Handlungsfreiheit vereinbar. Sie verstößt jedoch in Verbindung mit dem in § 34 Abs. 16 Satz 1 KStG vorgesehenen Antragswahlrecht bestimmter Körperschaften gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Die Ausnahmeregelung bewirkt eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung von Körperschaften, die nicht gerechtfertigt ist.

Feststellungsbescheide: steuerliches Einlagekonto

Der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ist nicht befugt, den gegen die Kapitalgesellschaft ergangenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos anzufechten (BFH, Urteil v. 21.12.2022 – I R 53/19; veröffentlicht am 09.03.2023).

Sachverhalt: Streitig ist, ob der Bescheid über die Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos gem. § 27 Abs. 2 KStG in der im Streitjahr geltenden Fassung von einem Gesellschafter angefochten werden kann.

Die Klägerin ist Gesellschafterin einer GmbH. Für die GmbH erging für das Jahr 2007 ein Feststellungsbescheid, in welchem das steuerliche Einlagekonto fälschlicherweise auf 0 € festgestellt wurde.

Gegen diesen Feststellungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein und gab an von der fehlerhaften Feststellung des steuerlichen Einlagekontos unmittelbar betroffen zu sein. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig, wogegen die Klägerin Klage erhob.

Das FG wies die dagegen gerichtete Klage mit der Begründung ab, dass die Klägerin nicht i. S. des § 40 Abs. 2 FGO befugt sei, den gegenüber der Beigeladenen ergangenen Feststellungsbescheid anzufechten (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil v. 19.09.2019 – 1 K 73/18)

Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen:

  • Grundsätzlich kann ein Bescheid nur von den Adressaten angefochten werden. Das ist im Fall des Bescheids gem. § 27 Abs. 2 KStG die Kapitalgesellschaft und allein sie kann deshalb Einspruch einlegen und Klage erheben. Der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft ist nicht Adressat, sondern als Dritter lediglich mittelbar von dem Bescheid betroffen.
  • Ein eigenes Anfechtungsrecht des Gesellschafters (sog. Drittanfechtungsrecht) ist auch nicht ausnahmsweise anzuerkennen. Zum einen besteht keine Rechtsschutzlücke, da die Kapitalgesellschaft Fehler des Bescheids im Rechtsbehelfsverfahren geltend machen kann. Zum anderen hätte ein solches Recht zur Folge, dass der Bescheid noch nach vielen Jahren vom Gesellschafter angefochten werden könnte und dauerhaft kein Rechtsfrieden eintreten würde.

Die Versagung eines eigenen Anfechtungsrechts des Gesellschafters ist auch mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes vereinbar.