Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen

Bundesfinanzhof, VII-R-55/20
Urteil vom 15.11.2022
Fundstellen

Leitsatz:
Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 01.10.2020 – 2 K 11/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Kassen: Übermittlung von Root- und Intermediate-Zertifikaten

Das BMF hat die Vorgaben für die Übermittlung von Root- und Intermediate-Zertifikaten an das BMF festgelegt (BMF, Schreiben v. 27.03.2023 – IV A 4 – S 0316-a/19/10005 :011).
Hintergrund: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat nach § 5 KassenSichV in Technischen Richtlinien die technischen Anforderungen an das Sicherheitsmodul, das Speichermedium und die einheitliche digitale Schnittstelle des elektronischen Aufzeichnungssystems festzulegen. Dazu gehören auch die Anforderungen an die Public Key Infrastruktur.
Anforderungen an die Public Key Infrastruktur für zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen sind in der Technischen Richtlinie BSI TR-03145 Teil 5 niedergelegt. Zu den Anforderungen gehört unter anderem, dass Root- und Intermediate-Zertifikate beim BMF hinterlegt werden müssen (vgl. Tz. 4.1).
Aufgrund der entsprechenden Vorgaben der Tz. 4.1 der BSI TR-03145 Teil 5 hat das BMF im Einvernehmen mit dem BSI folgende Regelungen erlassen:
I. Übergabe von Root-Zertifikat und erstmalige Übergabe von IntermediateZertifikaten
Nach der Vorgabe IR.Req.14 der BSI TR-03145 Teil 5 sind Root-Zertifikate grundsätzlich persönlich zu übergeben. Dies gilt auch für die erstmalige Übergabe von IntermediateZertifikaten. Die Übergabe hat am Dienstsitz des BMF in Berlin zu erfolgen. Bei der Übergabe muss sich die Person durch ein Ausweisdokument ausweisen können und durch eine Vollmacht die Befugnis zur Übergabe nachweisen. Sofern eine juristische Person oder Personengesellschaft übergabepflichtig sind, ist eine lückenlose Vollmachtskette von dem zur Vertretung berechtigten Organ erforderlich.
Für die Übergabe ist eine Terminvereinbarung erforderlich. Der Termin ist per E-Mail über die E-Mail-Adresse IVA4@bmf.bund.de zu vereinbaren.
II. Andere Übermittlungsformen für Root-Zertifikate
Sofern ein anderer Weg als die persönliche Übergabe gewählt werden soll, ist dieser Weg zu beschreiben. Bei der Beschreibung soll dargestellt werden, dass das Sicherheitsniveau dem der persönlichen Übergabe entspricht.
Die Beschreibung ist sowohl an das BMF als auch an das BSI per E-Mail (IVA4@bmf.bund.de sowie registrierkassen@bsi.bund.de) zu übersenden.
Eine Nutzung des alternativen Übermittlungswegs ist erst nach Billigung des BSI zulässig.
III. Spätere Übermittlung von Intermediate-Zertifikaten
Sofern das Root-Zertifikat bereits an das BMF übermittelt wurde, können nachträglich ausgegebene Intermediate-Zertifikate per E-Mail an das BMF (IVA4@bmf.bund.de) übermittelt werden.
Hierbei ist das Intermediate-Zertifikat in einer Container-Datei, wie z. B. Zip- oder z7-Datei, zu übersenden.
Quelle: BMF, Schreiben v. 27.3.2023 – IV A 4 – S 0316-a/19/10005 :011, veröffentlicht auf der Homepage des BMF (il)

Anwendungsfragen des § 2b UStG

Das BMF hat ein Schreiben zu Anwendungsfragen des § 2b UStG in Zusammenhang mit dem Friedhofs- und Bestattungswesen veröffentlicht (BMF, Schreiben v. 14.03.2023 – III C 2 – S 7107/19/10004 :008).
Hintergrund: Durch das Jahressteuergesetz 2022 vom 16.12.2022 (BGBl. I S. 2294) wurde die Übergangsfrist für die zwingende Anwendung des § 2b UStG um zwei Jahre bis zum 31.12.2024 verlängert.
Hierzu wird ausgeführt:
Im BMF-Schreiben vom 23.11.2020 (BStBl I S. 1335) wird die Nichtbeanstandungsregelung in Tz. 5 Satz 1 dahingehend geändert, dass anstelle des 1.1.2023 der 1.1.2025 tritt.

Erstattung von Corona-Entschädigungen

Das Land Nordrhein-Westfalen hat es in zwei Fällen zu Recht abgelehnt, Fleischverarbeitungsunternehmen eine Entschädigung dafür zu gewähren, dass diese Mitarbeiter weiter bezahlt hatten, die sich nach Corona-Ausbrüchen im Betrieb im Frühjahr 2020 in häuslicher Quarantäne befanden. Das hat das Oberverwaltungsgericht in zwei Musterverfahren entschieden und damit Urteile der Verwaltungsgerichte Minden und Münster aufgehoben (OVG NRW, Urteile v. 10.03.2023 – 18 A 563/22 und 18 A 1460/22).

Körperschaftsteuer: Rückwirkende Einführung einer Regelung

§ 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz – EURLUmsG) v. 09.12.2004 (in der Fassung des EURLUmsG) ist teilweise nichtig (BVerfG, Beschluss v. 14.12.2022 – 2 BvL 7/13, 2 BvL 18/14).
Hintergrund: Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG gelten Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger. Gemäß § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG ist diese potenziell körperschaftsteuererhöhend wirkende Vorschrift erstmals für (vororganschaftliche) Mehrabführungen von Organgesellschaften anzuwenden, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31.12.2003 endet.

Organschaft im Umsatzsteuerrecht

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit zwei die Organschaft betreffenden Entscheidungen zum einen seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung geändert und zum anderen ein neues Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet. Beide Entscheidungen sind nach Vorabentscheidung durch den EuGH ergangen.
Mit dem Urteil vom 18.01.2023 – XI R 29/22 (XI R 16/18) sieht der BFH die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft entgegen früheren Zweifeln weiterhin als unionsrechtskonform an. Die vom EuGH hierfür genannten Bedingungen (Willensdurchsetzung und keine Gefahr von Steuerausfällen) werden gewährleistet, da der BFH schon bisher die Möglichkeit der Willensdurchsetzung verlangt und die Organgesellschaft nach § 73 der Abgabenordnung für die Umsatzsteuer des Organträgers haftet.
Im Hinblick auf das Kriterium der Willensdurchsetzung ändert der BFH allerdings seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung. Für das Bestehen einer Organschaft ist zwar weiter im Grundsatz erforderlich, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht. Die finanzielle Eingliederung liegt nunmehr aber auch dann vor, wenn der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, die erforderliche Willensdurchsetzung bei der Organgesellschaft aber dadurch gesichert ist, dass er eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt.
Mit dem Beschluss vom 26.01.2023 – V R 20/22 (V R 40/19) soll geklärt werden, ob an der bisherigen Annahme der Nichtsteuerbarkeit sog. Innenumsätze weiter festzuhalten ist. Es handelt sich um das bereits zweite Vorabentscheidungsersuchen in dieser Sache, bei dem es nunmehr um eine Frage geht, die aufgrund der ersten Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren zweifelhaft geworden ist.
Nach einer vor einhundert Jahren vom Reichsfinanzhof begründeten Rechtsprechung, die später vom Gesetzgeber in das UStG übernommen wurde, unterliegen Umsätze zwischen den Mitgliedern einer Organschaft nicht der Umsatzsteuer, weil die Organgesellschaft als „unselbständiger“ Teil im Gesamtunternehmen des übergeordneten Organträgers angesehen wird. Zweifel an dieser Betrachtung ergeben sich daraus, dass der EuGH die Organgesellschaft als selbständig ansieht und die Organschaft nach seiner Rechtsprechung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führen darf. Letzteres könnte zu bejahen sein, wenn der die Leistung von der Organgesellschaft beziehende Organträger, wie im konkreten Streitfall, nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Sollte der EuGH entscheiden, dass Innenumsätze entgegen der ständigen BFH-Rechtsprechung steuerbar sind, hätte dies weitreichende Folgen. Umsatzsteuerrechtlich dient die Organschaft als Gestaltungsinstrument für Unternehmer, die nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind (z.B. Banken und Versicherungen, Unternehmer im Gesundheits- und Sozialwesen und im Bildungsbereich sowie Vermieter von Wohnungen). Nichtabziehbare Vorsteuerbeträge lassen sich bislang für derartige Unternehmen dadurch vermeiden, dass sie mit Dienstleistern Organschaften begründen, so dass die bezogenen Leistungen nicht steuerbar sind.

Nutzungspflicht des beSt ab dem 01.01.2023

Steuerberater sind nach § 52d Satz 2 FGO seit dem 01.01.2023 verpflichtet, das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) zu nutzen, da ihnen spätestens ab diesem Zeitpunkt ein sicherer Übermittlungsweg gemäß § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht. Auf den Erhalt des Registrierungsbriefs oder der Erstanmeldung kommt es daher nicht an (Niedersächsisches FG, Gerichtsbescheid v. 10.02.2023 – 7 K 183/22).
Hintergrund: Gemäß § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach Satz 2 der Vorschrift für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 „zur Verfügung“ steht (aktive Nutzungspflicht).

Arbeitsrecht: Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden (BAG, Urteil vom 29.03.2023 – 5 AZR 255/22).

Wärmeabgabe aus einer Biogas-Anlage

Der BFH hat dem EuGH u. a. die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es sich um die „Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen als unentgeltliche Zuwendung“ i.S. von Art. 16 MwStSystRL handelt, wenn ein Steuerpflichtiger Wärme aus seinem Unternehmen unentgeltlich an einen anderen Steuerpflichtigen für dessen wirtschaftliche Tätigkeit abgibt (hier: Zuwendung von Wärme aus dem Blockheizkraftwerk eines Stromlieferanten an ein landwirtschaftliches Unternehmen zum Beheizen von Spargelfeldern) und ob es hierfür darauf ankommt, ob der steuerpflichtige Empfänger die Wärme für Zwecke verwendet, die ihn zum Vorsteuerabzug berechtigen (BFH, Beschluss v. 22.11.2022 – XI R 17/20; veröffentlicht am 30.03.2023).

Dieselgate: Schadensersatz wegen Abschalteinrichtung

Der Käufer eines Kfz mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH, Urteil v. 21.03.2023 – C-100/21 „Mercedes-Benz Group“).