Wartepflicht bei angekündigter Verspätung eines Verfahrensbeteiligten

  1. Wenn ein Verfahrensbeteiligter oder Prozessbevollmächtigter sich auf der Anreise zum Gerichtstermin solchen Verzögerungen ausgesetzt sieht, gegen die auch die vernünftigerweise zu beachtende Sorgfalt keine Vorsorge gebie­tet, ist das Gericht auf eine telefonische Benachrichtigung hin, dass man sich verspäten werde, regelmäßig verpflichtet, mit der Eröffnung des Termins zu warten.
  2. Unterläuft der Geschäftsstelle des Gerichts bei der Weiterleitung einer tele­fonischen Benachrichtigung über eine solche Verzögerung ein Fehler, ist dieser dem Gericht zuzurechnen.
  3. Der wirksame Erlass einer Rechtsverordnung setzt unter anderem voraus, dass die entsprechende formell gesetzliche Ermächtigungsgrundlage im Zeit­punkt des Erlasses der Rechtsverordnung bereits in Geltung gestanden hat (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.04.2023 ‑ 2 C 18.21, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2023, 1423, Rz 16). Von einer Ermächtigung kann erst Gebrauch gemacht werden, wenn sie vorliegt (Urteil des Bundesver­fassungsgerichts vom 26.07.1972 ‑ 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9, unter B.II.2.).
  4. Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob die Steuerberaterplattform- und ‑postfachverordnung, die Grundlage für die Erstregistrierung zum besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach, für dessen Ausgestaltung und damit für die Nutzungspflicht nach § 52d Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ist, wirksam geworden ist. Sie wurde am 25.11.2022 erlassen (BGBl I 2022, 2105 vom 30.11.2022); ihre Ermächtigungsgrundlage (§ 86f des Steuerberatungsgeset­zes ‑‑StBerG‑‑) war aber erstmals nach Ablauf des 31.12.2022 anzuwenden (§ 157e StBerG).

FGO § 52d Satz 2, § 56, § 115 Abs. 2 Nr. 3 GG Art. 19 Abs. 4, Art. 80, Art. 103 Abs. 1

BFH-Beschluss vom 17.04.2024, X B 68, 69/23 (veröffentlicht am 10.05.2024)